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Selbstgespräche

Früher dachte ich immer, es seien nur ältere Leute, die Selbstgespräche führen. Eine Form, die Einsamkeit zu überwinden. Oder multiple Persönlichkeiten, die sich gleich mit einer ganzen Gruppe auseinandersetzen.

Wenn ich heute durch die Stadt gehe, bei der Bank vorm Schalter stehe, oder im Supermarkt den Ketchup suche, überall sehe ich Menschen, im Gespräch mit sich selbst. Und zwar aus jeder Schicht, in allen Altersklassen. Ich frage mich, in meiner eigenen tonlosen Unterhaltung, was ist es, was das Gespräch mit sich selbst erstrebenswerter macht, als mit einem zweiten Gegenüber?

Ist es das bedingungslose Zustimmen jeglicher gedanklicher Absurdität oder die immer größer werdende Einsamkeit, die jetzt auch die Jungen immer stärker betrifft? Oder ist es einfach ein Mangel an dem Attribut des Zuhörens? In einer Gesellschaft der Profilneurotiker und Selbstdarsteller will jeder nur noch seine eigenen Lebensweisheiten unters Volk mischen. Aufgefordert oder nicht. Zuhören wird gar nicht unbedingt verlangt, nur nicken und lächeln und dem Absender das Ego pimpen.

So habe ich neulich mit einer Freundin telefoniert, die mir eine Stunde von ihren Beziehungsproblemen erzählte. Die Pausen, die sie machte, reichten gerade mal für ein erwiderndes „hmmm“ und „echt?“ Nach einer halben Stunde stellte ich den Lautsprecher an, ging zum Briefkasten, räumte den Geschirrspüler aus und schrieb sms mit einem Freund. Zurück am Hörer hörte ich nur noch: „Sunny, du bist die Beste! Keiner versteht meine Probleme so wie du und ist immer auf meiner Seite! Tschüßi!“ So etwas nennt man dann wohl Selbstgespräch mit Beisitzer.

„Hey Sunny, wie geht es dir?“ Ich musste lächeln. „Danke, eigentlich ganz gut! Und dir?“ Bekanntes Lächeln folgte. „Schön, dass du fragst. Auch ganz gut! Gehen wir einen Kaffee trinken?“ „Gerne!“

Die Bedienung des Cafés schaut fragend. „Sind sie allein?“

Ich nicke.

(c) Sunny Möller

15 Gedanken zu „Selbstgespräche“

  1. Die Menschheit… was soll man zu der noch sagen? Zumindest hast du das richtig wiedergegeben. Kommunikation war mal, obwohl heutzutage wegen jedem Mist kommuniziert wird. Dabei geht es auch nicht darum, dass die Botschaft ankommt, sondern dass sie einfach in die Welt hinausgeblasen wird. Naja, was soll man auch schon zu dem ganzen Müll in Whatsapp oder sonstigen Netzwerken noch sagen.
    Danke für Deine Gedanken! 🙂
    Oliver 2.0

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  2. es wird in diesen zeiten zu viel getippt. dabei ist es doch so, dass das artikulieren in worten der klarheit im denken hilft. fürher wurde mehr geredet, und ich glaube mit selbstgesprächen wird der klarheit des denkens geholfen. also eine reaktion auf die zunehmende tippselei. im übrigen stehe ich manchmal vor dem spiegel, um für präsentationen übergänge zu üben, das ist schwerer als man spontan glauben würde, dabei gibt es aber zunächst keine öffentlichen zuhörer 🙂

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