Ich bin momentan einer ziemlich heißen Sache auf der Spur! Ich glaube, Psychiater und Telefongesellschaften haben so etwas wie einen Kooperationsvertrag. Denn es reicht nur ein Gespräch mit einem dieser frohlockenden Anbieter und man ist reif für die Klapse.
Sehr geehrte Frau Möller,
wir freuen uns, sie bei UTU begrüßen zu dürfen. Ihr ´Mega-superfun-special-hero-double-light-easy´ Flatpaket wird am 01. Oktober frei geschaltet. Bei Fragen stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Erwin Lange
Seitdem Funkstille. Ich bin ohne Kontakt zur Außenwelt. Morsen hatte ich nie gelernt und bei Rauchzeichen hetzten sie mir gleich das Ordnungsamt auf den Hals. Ich musste die Telefongesellschaft anrufen. Saurer Ekel stieg in mir hoch. Mit Mühe wählte ich die Service-Nummer.
Wie lange tutete das jetzt schon? Ah, jetzt ging jemand ran, vielleicht Herr Lange? Nein, eine sympathische Frauenstimme vom Band.
„Willkommen bei der Helpline von UTU, deinem sympathischen Telefonanbieter. Wenn du Fragen zu deiner Rechnung hast drücke bitte die eins, hast du Fragen zu speziellen Angeboten drücke bitte die zwei, hast Du Fragen zu deinen laufenden Verträgen drücke bitte die drei, brauchst du eine Kotztüte, drücke bitte umgehend die vier!“
Ich drückte die drei.
„Bitte sprich deine 12stellige Kundenummer jetzt aufs Band und bestätige sie mit der Rautetaste.“
Oh Gott, das konnte ja ewig dauern.
„2-8-4-6-3-9-2-7-4-3-6-0“.
Ich drückte die Rautetaste. Die freundliche Dame antwortete prompt.
„Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden! Bitte wiederholen Sie Ihre Kundennummer oder geben Sie Sie auf dem Wählfeld ein. Anschließend drücken Sie bitte die Rautetaste!“
Nach drei gescheiterten Versuchen klappte es schließlich, aber es pochte schon etwas in der linken Schläfenhälfte.
„Ist ihre Kundennummer „2-8-4-6-3-9-2-7-4-3-6-0“, so antworten sie bitte mit ´ja´!“
Komisch, eben hatte sie mich doch noch geduzt. Waren sie jetzt keine Freunde mehr? Ich antwortete laut:
„Ja!“
„Entschuldigung, ich konnte ihre Antwort nicht verstehen! Bitte wiederholen sie ihre Antwort!“
Pochen auf beiden Seiten!
„Jaahhaaa, du dreckiges, Pocken bedecktes Mistdrecksluder!“
Ich schrie fast in den Hörer. Es knackte in der Leitung. Wahrscheinlich hatte die Bandfrau gerade einen Hörsturz erlitten. Doch nicht, sie fing wieder an zu sprechen.
„Herzlich willkommen Frau Möller! Leider sind alle unsere Leitungen belegt. Der nächste freie Mitarbeiter steht jedoch in Kürze für Sie bereit!“
Dann ertönte eine säuselige Pausenmusik. Drei Minuten später:
„Bitte gedulden sie sich noch einen kurzen Moment, der nächste freie Mitarbeiter ist sofort für Sie da!“
Pausenmusik.
Zehn Minuten und vier Pausenlieder später dachte ich darüber nach, was UTU unter einem kurzen Moment und sofort denn so verstanden? Vielleicht würde ich nie wieder einen Telefonanschluß kriegen? Man würde mich irgendwann tot in der Wohnung finden, wenn ich bei der nächsten Mandelentzündung den Notarzt nicht kontaktieren konnte. Mit der Identifikation hätten sie ihre Schwierigkeiten, denn mein Gesicht wäre madenzerfressen. In meiner zerwurmten Hand, ein vergilbter Brief der Telefongesellschaft, die es schon nicht mehr gab…..
Wieder kam ein neues Pausenlied. Die Dame, die mir den nächsten freien Mitarbeiter versprochen hatte, meldete sich überhaupt nicht mehr. Das Lied war unverschämt….
The Beautiful South „Song for whoever“
Jetzt war ich echt sauer. I forget your name? Bei dem Lied war ich das erste Mal richtig verliebt gewesen und der Typ hatte mich wegen eines fehlenden D-Körbchens abserviert. Na warte Erwin Lange, wenn ich dich gleich in der Leitung habe.
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Ich legte den Hörer auf. Es war einfach nicht zu fassen. Ich hatte 20 Minuten mit einer Frau Möller von UTU gesprochen, einen Erwin Lange, der immer zur Verfügung stand, kannte diese Dame überhaupt nicht. Und was war dabei herausgekommen? Gar nichts! Und Telefongesellschaften können sensationell nett, gar nichts tun!
„Frau Möller, jetzt beruhigen sie sich doch erst einmal. Wir finden bestimmt eine Lösung für ihr Problem. Dafür ist UTU doch da. Erwin Lange? Nein, tut mir leid, den kenne ich nicht. Geben sie mir doch noch einmal ihre Vertragsnummer, dann haben wir schwuppsdiwupps das Problemchen gelöst, liebe Frau Möller! Wo wir doch schon den gleichen Namen haben. Das hat was zu bedeuten!“
Ja Trulla, ähnlich viel, als wenn ich Schmidt oder Meier heißen würde. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Ich war einfach zu lange in dieser Warteschleife gewesen. Mittlerweile hatte ich schon eine Flasche Prosecco leer, während ich versuchte, einhändig die zweite zu öffnen. Ganz ruhig Sunny. Mach jetzt keinen Stress, leg deine ´Ich-bin-aber-sowas-von-freundlich-Stimme´ in den Rekorder und sei nett zu der hilfsbereiten Dame!
„2-8-4-6-3-9-2-7-4-3-6-0!“
„Hach Frau Möller, das ist nur ihre Kundennummer, die Vertragsnummer steht oben rechts unter ihrem Vorteils-Code!“
Ich hatte einen Vorteils-Code? Warum hatte man mir davon denn gar nichts gesagt? Was wohl dieser Vorteils-Code sein sollte? Vorteil für was? Umgehung der Warteschleife, Privataudienz beim ominösen Herrn Lange, einen Call-Center-Agent abknallen straffrei?
„Frau Möller?“
„Ja, ja, ich hab´s schon. 123-67-BB!“
„Dankeschön! So, dann schauen wir uns das mal an. Hm, ach so, ja. Den Vertrag bei B-net haben sie bis zum Ende des Monats gekündigt und sind dann ab dem Ersten bei uns unter Vertrag, sowohl mit ihrem Handy als auch mit dem Festnetz. Das ist doch wunderbar.“
Jetzt platzte mir der Kragen. Ich fing dümmlich irre an zu kichern. Nein, Sunny, nein, denk immer an deine ´Ich-bin-sowas-von-freundlich-Stimme´ und bleib ganz ruhig. Du willst, dass die Tante heute dein Telefon frei schaltet, also reiß dich zusammen!`
Es war zu spät. Das Männchen war aufgewacht. Dieses kleine Männchen lebte in meinem Kopf und rannte wie verrückt hin und her und hopste auf und ab. Das war schon immer so gewesen, seit ich ein kleines Mädchen war. Es hatte mich immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Ich versuchte mich zu erinnern, wann es das erste Mal aufgetaucht war. Ich glaube ich war sechs und mit meiner Mama beim Einkaufen gewesen. Auf dem Weg zum Supermarkt kamen wir immer an einem großen Spielzeuggeschäft vorbei. ,Siggi Sagers Spielzeugwelt´, den Namen würde ich nie vergessen. Die Schaufenster waren immer wunderschön dekoriert, nicht so wie heute, wo einfach irgendwelche Kisten mit Plastikmist übereinander gestapelt wurden. Herr Sager hatte damals eine große Barbiewelt aufgebaut. Ein großes Zirkuszelt, Wohnwagen, Tiere, Clowns und eine Zigeunerbarbie. Vom ersten Moment an, war ich von ihr hingerissen gewesen. Sie war einfach anders als alle anderen Barbies. Sie war nicht blond, hatte ein verwegenes, freches Lachen und den kürzesten Rock von allen. Siggi Sager hatte sechs oder sieben Kens um sie postiert, die sie alle anhimmelten. Sie schenkten ihr Barbie-Blumen, Barbie-Katzen und Barbie-Schmuck. Ich wollte auch wie diese Zigeunerbarbie sein. Als ich meine Mutter damals fragte, ob ich die Barbie wohl haben dürfte, verdrehte sie die Augen.
„Sunny, wie oft willst du mich das eigentlich noch fragen? Dein Geburtstag ist erst in zwei Monaten, Weihnachten liegt auch noch in weiter Ferne. Und so einfach zwischendurch gibt es so ein teures Spielzeug nicht! Komm jetzt bitte weiter!“
Da war dann dieses Männchen das erste Mal aufgetaucht. Es meldete sich nicht vorher an, sondern war plötzlich in meinem Kopf und ließ sich auch nicht mehr rauswerfen. Ich hatte meine Mutter damals böse angefunkelt.
„Wenn ich die Barbie nicht kriege, halte ich die Luft an, bis du sie mir kaufst!“
Und dann hatte ich aufgehört zu atmen. Das Männchen fand, das sei eine gute Idee.
„Sandra, jetzt hör doch mit dem Unsinn auf. Du bekommst die Barbie nicht, da kannst du dich auf den Kopf stellen!“
Nicht atmen Sunny, nicht atmen! Das Männchen war damals schon unerbittlich gewesen. Meine Mutter wurde ungeduldig.
„Fräulein Bergfeld, atme jetzt vernünftig, sonst bekommen wir beide richtig Ärger. Es ist schon zehn vor sechs. Der Schlachter macht gleich zu!“
Ich atmete nicht.
„Mein Gott Kind, jetzt hol doch endlich Luft. Du wirst ja schon ganz blau! Herr Sager, kommen sie schnell raus, meine Tochter ist blau!“
Dann kippte ich um. Als ich wieder wach wurde, hielt meine Mutter meine Hand.
„Schätzchen, was machst du denn nur für Sachen. Ich habe mich zu Tode erschreckt!“
Als ich in meine andere Hand schaute, lächelte mich jemand frech an. Die Zigeunerbarbie. Von diesem Tag an, wohnte das Männchen bei mir. Hin und wieder war es zwar auf Reisen, aber es meldete sich doch regelmäßig. Manchmal häufiger, als es mir lieb war. Damals habe ich gedacht, dass sei so ein Kinderding, wie der besagte Mann im Ohr, oder einer dieser Phantasiefreunde. Aber er war bis heute nicht ausgezogen.
„Frau Möller, sind Sie noch dran?“
Da war sie wieder, meine Namensverwandte von UTU. Aber es war zu spät. Das Männchen hatte gewonnen.
„Jetzt hören Sie mir mal zu Frau Schwuppsdiwupps. Ich versuche Ihnen seit zwanzig Minuten zu erklären, dass Sie mir vor über drei Wochen die Leitung hätten frei schalten müssen. Ich kann nicht telefonieren und ich komme nicht ins Internet. Mein Handy liegt auch schon in der Pathologie. Ich spiele jetzt mal meinen Vorteils-Code aus und da wir ja sowieso verwandt sind, schalten Sie mir diese verdammte Leitung frei!“
Stille. Mist, vielleicht hätte ich das mit Frau Schwuppsdiwupps weglassen sollen. Das mit dem Männchen konnte ich Frau Möller nicht erzählen und schon gar nicht, dass ich mittlerweile mehr als angeschickert war. Frau Möller räusperte sich.
„Es tut mir wirklich sehr leid Frau Möller, aber B-net hat die Leitung erst zum nächsten Ersten freigegeben, da kann ich jetzt gar nichts machen. Aber das sind doch nur noch vier Wochen und dann kann sie jeder unter ihrer neuen Nummer erreichen.“
Welche neue Nummer? Hatte Frau Schwuppsdiwupps Möller gerade etwas von neuer Nummer gesagt?
„Was für eine neue Nummer?“
Sie hörte Frau Möller tief atmen. Sie hatte Angst!
„Na ja, Frau Möller, B-net hat ihre alten Nummern nicht freigegeben. Also haben sie ab dem ersten Dezember eine neue Festnetz- und Handynummer. Aber die Nummern sind ganz ähnlich, das wird doch toll!“
Das Männchen fing wieder an zu hüpfen.
„Wissen Sie was, stecken Sie sich ihren Vertrag doch schwuppsdiwupps in den Hintern, das wird doch toll, Sie blöde Kuh!“
Jetzt war alles vorbei. Frau Möller würde sie jetzt bestimmt nicht mehr in der Familie haben wollen.
„Hallo? Frau Möller?“
Langer Ton, kurze Überlegung. Irgendwo war noch eine Flasche Schnaps.
© Sunny Moeller