Unvermittelt packt er mich, legt mich übers Knie und dreht sich mit einer fließenden Bewegung so, dass mein Oberkörper auf dem Bett liegt, dann schwingt er sein rechtes Bein über meine Schenkel und drückt mich mit der linken Hand nach unten, so dass ich mich nicht bewegen kann. Ach du Scheiße!
„Leg beide Hände neben deinen Kopf“, befiehlt er. Ich gehorche. „Wieso tue ich das, Anastasia?“, fragt er. „Weil ich die Augen verdreht habe“, presse ich mühsam hervor. „Darf man so etwas tun, was meinst du?“ „Nein.“ „Wirst du es noch einmal tun?“ „Nein.“ „Künftig werde ich dich jedes Mal versohlen, wenn du es tust, verstanden?“
Im Zeitlupentempo zieht er mir die Jogginghose herunter. Wie entwürdigend! Es ist entwürdigend, Angst einflößend und wahnsinnig erotisch zugleich. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich bekomme kaum noch Luft. Ob es wehtun wird?
Er legt seine Handfläche auf mein nacktes Hinterteil, tätschelt und streichelt es zärtlich. Dann ist seine Hand plötzlich verschwunden … und er schlägt zu. Und wie! Au! Meine Augen quellen beinahe aus den Höhlen vor Schmerz.
(Shades of Grey-Geheimes Verlangen/ E.L. James)
Ach du Scheiße! Seit Wochen höre ich es von allen Seiten. „Hast du Shades of Grey gelesen? Das ist der Hammer! Das macht total süchtig! Noch viel besser als die Twilight Romane!“
An dieser Stelle hinkt allerdings der Vergleich, weil hier ein zahnloser Glitzerblutsauger mit einem Lord of Fuck verglichen wird. Immerhin war ich neugierig geworden. Als ich mit dem Buch an der Kasse stand, lächelte mich die Verkäuferin wissend an. „Der Hammer, sag ich Ihnen!“
Ich klappe den Hammer zu! Über achtzig Prozent der Leser dieses Buches sind Frauen. Weites gehend emanzipierte Frauen wie ich, wenn man den Umfragen trauen darf. Dieser Roman hat allerdings überhaupt nichts mit Selbstbestimmung zu tun. Und trotzdem, auch ich habe ihn verschlungen und mich bei der Überlegung ertappt, ob mir diese Popohauerei irgendwie gefallen würde.
Erst letzte Woche saß ich mit einigen Freundinnen zusammen und wir sprachen über die Attribute des wahren Traummannes. „Humor muss er haben!“ „Rücksichtsvoll sollte er sein!“ „Zärtlichkeit ist mir ganz wichtig!“ „Bloß nicht so einen Macho!“ Diese Freundinnen sind große Fans von „Shades of Grey“!
Hauptdarsteller Christian Grey hat ja auch alle erwünschten Eigenschaften! Er ist ein mega erfolgreicher Geschäftsmann mit den längsten Wimpern, dem perfektesten Körper, dem charmantesten Lächeln, dem vollkommensten Benehmen und dem größten Schwanz!
Wer jetzt allerdings auf eine Romanze a la Rosamunde Pilcher hofft, sollte bei der Textprobe schon eines Besseren belehrt worden sein. Mr. Grey schließt Verträge mit seiner Gespielin, zwischen Sub und Dom (Sklavin und Meister). Regeln werden aufgestellt, was SIE essen darf, wie lange SIE schlafen muss, welche Kleidung SIE tragen soll und wann SIE frisch gewachst, gefesselt und breitbeinig vor ihm liegen soll. Seine Pflichten bestehen nur darin, sie zärtlich zu erniedrigen und es ihr anschließend so richtig zu besorgen. Und Anastasia und alle Leserinnen betteln nach mehr!
Ich frage Euch, müssen wir unser Weltbild verrücken? Wären Ehen und Beziehungen glücklicher und befriedigender, wenn uns die Jungs ab und zu den Po versohlen würden? Wollen wir hin und wieder beherrscht werden, eintauchen in die verbotene Grauzone des Frauseins?
© Sunny Möller